01. Januar 2016. Draußen ist es dunkel, noch weht ein kühler Wind. Mein Mann und ich haben beide Bauchgrummeln. Ob das wohl an den Unmengen von Streetfood von gestern liegt? Oder einfach nur an der Nervosität? Kav, der junge Thai aus Bangkok, mit dem wir uns das Zimmer in einem Hostel in Chiang Rai teilen, döst auf seiner Matratze. Wir klären flüsternd, wer die nicht ganz so saubere Toilette zuerst benutzen darf.
Ob wir nun die nächsten drei Tage mit Bauchproblemen zu kämpfen haben werden, frage ich mich. Kurz zuvor haben wir einer Gruppe Mönche im Morgengrauen eine Essenspende überreicht. Und uns für diese Ehre bedankt. Denn wer in Thailand einem Mönch etwas spenden darf, beeinflusst sein Kharma positiv. Ich hoffe auf eine schnelle Wirkung.
Fünf Stunden später haben wir den Großteil unseres Gepäcks bei unserer Trekking-Agentur abgegeben und stapfen mit einem Leichtrucksack ausgerüstet an der Grenze zu Myanmar durch die thailändische Berge. Es ist heiß, die Mücken fliegen und die Aussicht ist schon jetzt atemberaubend schön. Hinter uns liegen bereits eine Bootsfahrt und eine ordentliche Portion Reis mit Schweinefleisch. Vor uns liegen: Drei Tage Trekking zu thailändischen Bergvölkern, Übernachten bei einheimischen Familien inklusive. Immer dabei: Wang, unser Guide. Am ersten Tag auch dabei: eine Gruppe Franzosen, die sich unsere eigentlich private Tour durch einen Bündel Geldscheine und Hartnäckigkeit gekapert hat. Eigentlich etwas sauer stelle ich fest, dass sie noch nervöser sind als wir. Ihre Aufregung beruhigt mich.
Als wir nach vier Stunden Hitze, Schleichwegen durch den Dschungel und einigen Steigungen im ersten Dorf ankommen, flüstert mein Mann leise „Uncle Boonmee“. Wir haben den Film über einen Mann, der kurz vor seinem Tod in einem Farmhaus am Rande des Regenwalds den Geistern verstorbener Familienmitglieder begegnet, vor einigen Jahren im Kino gesehen. Er hatte sich durch seine Fremdheit in unsere Erinnerung gebrannt. Ich hebe den Kopf und werde etwas nachdenklich. Strohhäuser auf Stelzen ragen ungelenk aus dem Hang, Hühner und Schweine sorgen für die Geräuschkulisse. Irgendwo ist Rauch. Kein Strom, kein warmes Wasser, kein Waschbecken. Eher ein Loch im Boden und ein Eimer eiskaltes Bergwasser. Na gut, denke ich. So etwas hatte ich noch nie. Später werde ich mir mit wasserdichten Schuhen die Zähne unter der handgebauten Dusche putzen und dabei meine Hose tränken.
Die Gastfamilie spricht kein Englisch. Aber die Freundlichkeit, mit der uns die Lahu empfangen, ist auch ohne Sprache zu verstehen. Das frisch geschlachtete Schwein wird in alle Einzelteile zerlegt. Diese landen dann auf einem großen Feuer in der Mitte des Raumes. Ich probiere gegrillten Schweinedarm und trinke sicherheitshalber einen Schnaps hinterher. Mein Mann kostet die rohe Blutsuppe mit knusprigen Reisnudeln. Auch für ihn gibt es Schnaps - selbst gebrannt versteht sich. Es ist ein schöner Abend: fremd, wohlig und urig. Weit weg von all dem, was unseren Alltag so ausmacht. Und dabei nicht ein bisschen unangenehm.
Ich bin froh, als ich schlafen gehen kann, auch wenn das Bett nicht mehr ist als eine harte Bodenauflage, mitten im zugigen Raum unter einem Moskitonetz. Die Kälte der Bergnacht wird mich wachhalten und als Wang uns um 5 Uhr morgens für den Sonnenaufgang weckt, habe ich nur wenig geschlafen.
Schon der Aufstieg für die Aussicht auf den Sonnenaufgang fällt mir schwer - ein Gefühl, was den ganzen Tag nicht mehr weichen wird. Ich kämpfe - anders als am Tag zuvor - mit den zum Teil recht steilen Höhenaufstiegen und der Hitze. Die Reisfelder und Natur entlohnen mich, aber ich bin froh, als wir abends im zweiten Dorf ankommen. Diesmal ist es ein Dorf der Akha. Die Frauen sind traditionell bunt gekleidet und treten uns recht selbstbewusst entgegen. Das Dorf wirkt wohlhabender, weniger abgeschieden.
Auch die zweite Unterkunft ist wenig luxuriös, dafür haben wir ein eigenes „Zimmer“ und eine schöne Aussicht. Abends beim gemeinsamen Kochen in der Küche erfahren wir mehr über Wangs Geschichte, über den Geisterglauben der Bergvölker, über ihre Küche und beobachten gespannt das Treiben. Amew - unser Gastgeber für die heutige Nacht - begleitet uns schon eine Weile. Obwohl wir keine Verständigungsmöglichkeit mit ihm haben, kommt es mir im Nachhinein so vor, als hätten wir viel mit ihm gesprochen. Während wir alle in der Küche sitzen, kommt eine alte Frau dazu. Amews Schwiegermutter ist aus dem 60 Kilometer entfernten Nachbardorf zu Besuch. Schweigend hantiert sie am Feuer und ist insgesamt wenig an uns interessiert.
Wir schlafen tief und fest - selbst die überlaute Hochzeitsfeier in der Dorfmitte kann uns nicht aufhalten. Als wir am nächsten Morgen aufstehen hat Wang bereits einen dampfenden Teller Suppe mit Reis, Fleischbällchen und Ingwer aufgefahren. Ein stark gebrühter Oolong weckt die Lebensgeister. Während wir in der Morgenkühle Suppe schlürfen, finden sich die Dorfbewohner an einem Rohr ein, das aus dem Boden ragt. Hockend putzen sie ihre Zähne und mir fällt auf, dass ich schon länger in keinen Spiegel gesehen habe.
Der letzte Wandertag ist ein friedliches Abschiednehmen. Von der grünen Dichte, den Reisfeldern, den Geistern in der Mitte des Dschungels. Ich bin körperlich ausgeruhter und kann in meinem eigenen Rhythmus gehen. Ab und zu werde ich von Mücken attackiert, was ich mit DEET beantworte. Ich möchte noch nicht gehen, habe kein Interesse an der Stadt. Möchte noch länger bleiben, noch mehr Geistergeschichten hören.
Thailands Bergvölker haben keine Bürgerrechte. Sie können nicht wählen und sind häufig verarmt, da ihnen immer wieder die Grundlage für ihre Subsistenzwirtschaft genommen wird. Die (wortlose) Begegnung mit ihnen hat mich tief berührt und vieles in mir bewegt. Ich bin dankbar für diese Erfahrung.
Tipps für Trekking & Accomodation in Chiang Rai
Trekking Agentur Lanna Trek
Privat betriebene Agentur von 3 Guides (Toni, Wang und Sun). Sichere, fröhliche Touren abseits der eingetretenen Touristenpfade ab Chiang Rai. Die lokalen Familien freuen sich, wenn sie auftauchen. Respektvoll, individuell und top Preis-Leistungs-Verhältnis. Absolut zu empfehlen. Office auf der zentralen 1018 Jedyod Rd, Mueang, Chiang Rai, Thailand 57000. Email: lannatrek14@gmail.com
Happy Nest Hostel
Design-Hostel mit schönem Ambiente, vielen thailändischen Gästen, gutem Frühstück (kostet extra) und mittelmäßig sauberem Bad. Zentral gelegen. Nicht das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, was wir auf unserer Reise erlebt haben, alles in allem aber in Ordnung.
Adresse: 931 Phaholyotin Road, Wiang, Muang, Chiangrai, 57000 Thailand
Tel. +66 53 715031
E-mail : happynest.hostel@gmail.com
Na-Rak-O-Resort
Unser Favorit unter den Unterkünften in Chiang Rai. Eine sympathische und hilfsbereite Physiklehrerin betreibt seit ca. einem Jahr dieses herrliche Bed and Breakfast in ruhiger und zentraler Lage. Die Zimmer sind schön, hell und sauber, die Anlage liebevoll und farbenfroh gestaltet. Einzig das Frühstück ist eher rudimentär (Eier, Toast und Tütenkaffe zum Selberkochen). Dieser "Abstrich" lässt sich jedoch problemlos verkraften, da der Preis pro Übernachtung absolut fair ist (ein Doppelzimmer kostet nur wenig mehr als ein Mehrbettzimmer im Happy Nest) und am Ende der Straße drei ältere chinesischstämmige Damen ein feines Restaurant betreiben, in dem man herrlich frühstücken kann. Adresse: Sankorgchang Soi 1, Wiang, Chiang Rai 57000, Thailand